Neue Wege

Samstagabend. Zeit mal wieder auf die Pirsch zu gehen. Nach meiner letzten gescheiterten Beziehung war das dringend nötig. Seit Monaten verkroch ich mich Zu-hause. Doch jetzt war Schluss. Ich betrachtete meine schwarzen Stacheln im Spiegel. Hm. Ich musste dringend zum Frisör und mir einen neuen Style verpassen lassen. Braune Augen musterten mich unzufrieden. Diese Badboy-Klamotten mit zer-rissenen Jeans und so passten auch nicht mehr. Zum Thema jagen gehen. Ich scheiterte schon an meinem Kleiderschrank. Frustriert ließ ich mich rücklings aufs Bett fallen. Es ächzte unter mir. Nicht, dass ich fett wäre, aber meine Oberarme hat-ten ihr eigens persönliches Muskelgewicht. Als Security musste man sich eben seinem Job anpassen. Und es gab genügend Kerle, die genau auf meinen Typ abfuhren.
Wäre da nicht das Kleiderproblem. Seufzend legte ich meinen Arm über die Augen. Vielleicht sollte ich meinen freien Abend genießen statt Party zu machen?

Es klopfte. Für Sekunden starrte ich verwirrt die Zimmertür an. „Jo?“ Mick und Noah. Die hätte ich beinahe vergessen. Die beiden waren zu Besuch in München und pennten bei mir bevor sie zurück nach Bremen tuckerten. „Josef? Pennst du? Wir wollen los!“, drängte Noah. „Bin gleich fertig.“ Knurrend setzte ich mich auf. Da flog auch schon die Zimmertür auf. „Nein! Jetzt! Wir warten schon eine Stunde auf dich!“, fauchte mich der Blonde mit den wasserblauen Augen an. Ein kurzer Blick und Noah stand vor dem Kleiderschrank. Mick dagegen lehnte gelangweilt mit verschränkten Armen im Türrahmen und schwieg. Gerade strahlte er eine gewaltige Präsenz aus. Die brauchte er auch. Als Chef der deutschen Snipers Krokodils Bremen. Mit seinen dreißig Lenzen war er kaum älter als ich. Wir gehören alle zu einer Familie. So nannten wir unseren Motorradclub. Wir galten als eine der friedlichsten und gleichzeitig kleineren Gruppen der Szene. Nun ja. Weltweit kamen wir nur auf vier Charter, zwei in Kalifornien und zwei in Deutschland, aber das reichte. Mein Heimatcharter ist das in München. Wir sind bloß sechs Mann und damit das kleins-te. Wenn man bedenkt, dass unser Muttercharter auch nur mit zwölf Mann angefangen hat, reicht uns Bayern unsere Anzahl alle mal.

„So. Zieh das an.“ Noah warf mir eine schwarze Jeans und ein rot-blau-kariertes Hemd zu. „Und die hier.“ Obendrauf kam meine Kutte mit dem fies dreinblickenden Krokodilkopf. Das Teil war mir heilig und normalerweise würde ich sie niemals zum Feiern anziehen. Das Nicken in meinem Blickwinkel änderte dann irgendwie meine Meinung. Gnade demjenigen, der mir das erste Bier drüber kippte!

„Wo gehen wir hin?“, erkundigte sich Noah in der U-Bahn. „Zur Lederhose.“ Ungläubig starrte er mich an. „Heißt so. Lederhose Weißblau.“, grinste ich, „Vermutlich genau das was du denkst.“ Verschwörerisch zog ich die Augenbrauen hoch. Wir hocken uns in ein Abteil und erntenden gleich verächtliche oder sogar ängstliche Blicke. Vorurteile. Wenn die wüssten. Vor allem die beiden Jungs schräg gegenüber. Richtig süß wie giftig einer der beiden uns anstarrten. Als wollte er sagen, ich beschütze meinen Freund mit meinem Leben.
Als Noah sich an Mick kuschelte, entspannten sich die beiden. Mit den kurzen blonden Haaren konnte man Noah durch aus als Mann erkennen. Ich musste trotz-dem über die Reaktion der Leute lachen. Seit dem neuen Vereinsgesetzt und den vielen Club-Verboten bekamen die meisten Leute nicht mit, mit wem sie U-Bahn fuhren. Dabei hatte München sogar zwei Crazy-Ducks-Charter und beide waren von dem Kuttenverbot betroffen. Fürs Protokoll. Zwei von denen hocken am hinteren Teil des Abteils mit dem Rücken zu uns und unterhielten sich leise.
„Wo müssen wir raus?“ Wow. Mick sprach ein Wort. So wundert euch. „Goetheplatz. Ist ziemlich versteckt.“ Der Präsi des Bremer-Charters nickte. „Ein gemischter Laden.“ Ich nickte. Die Lederhose Weißblau hatte zwar eine Regenbogenfahne gehisst, das hieß jedoch nicht, dass es eine geschlossene Gesellschaft war.

„Es ist nicht mehr weit.“ Ich führte die beiden durch ein paar Gassen. Mick stützte seinen Freund. Dem ging es nicht mehr so gut. In Bremen gibt es keine U-Bahn und Noah vertrug es nicht. „Können wir zurück einen Bus nehmen?“, krächzte der Blonde. Ich hielt vor unserem Ziel an. „Ich befrage mal das MVG-Orakel.“ Beide schauten mich irritiert an. Grinsend zog ich mein Smartphone aus der Hosentasche und wedelte damit herum. „Apps habt ihr im Norden also auch nicht?“ „Witzig. Dafür haben wir ein besseres Netz.“, entgegnete Noah zynisch. Schau an. So schlecht konnte es ihm nicht gehen.
Die Daten der App gefielen mir nicht. „Also. Wir könnenr schon um eins nach Hau-se oder wir feiern bis halb fünf durch.“ „Ich nehme die lange Variante.“ Die Antwort ohne Überlegung von Noah und schon war in der Lokation verschwunden. „Er wird als Erster jammern, oder?“ Mick nickte ohne zu Zögern. „Ich wollte ohnehin mit dir alleine reden.“ Überrascht wandte ich meinen Kopf zu ihm. „Wie läuft es mit den Männern in Grün?“ „Mittlerweise tragen sie blaue, aber alles gut. Ich denke, wir sind nicht auf ihrem Schirm. Wieso fragst du? Habt ihr Ärger am Hals?“ Sofort schüttelte er den Kopf. „Ich bin nur gerne informiert.“

Drinnen war bereits die Hölle los. Als wäre halb München hier. Mir entgingen die vielen blau-weisen Schals mit dem stämmigen Löwen drauf natürlich nicht. Hatten ich ein Sechzig-Spiel verpeilt? Aber was sollten die im Stadtteil Ludwigstadt? Egal. So lange die Fans keinen Stress machten. Seufzend hockte ich mich an die Bar. Kam ich jemals aus meinem Arbeitsdenken raus?
Der Barkeeper stellte mir ungefragt ein Bier vor die Nase. Ich nickte nur. Mit einem Blick über die Schulter versuchte ich meine Freunde auszumachen. Fehlanzeige. Die waren irgendwo im Getümmel verloren gegangen. Wenigstens das Bier schmeckte. Mit der Zeit drängte sich immer mehr Gäste an die Bar. Dieses lästige Gedränge. Deswegen arbeitete ich lieber an der Tür. Und schon wieder! „Nein, Jo. Du hast heute frei!“, beschwor ich mich selbst. Ein paar Hocker neben mir beobach-teten mich ein aufmerksames Augenpaar. Nach ein paar Minuten starren ich scharmlos zurück. Wenn er Eier in der Hose hatte würde er den Blick nicht senken. Die LED-Beleuchtung machten es besonders hell an der Bar. Ich konnte sogar seine Augenfarbe ausmachen. Hellbraun, fast golden würde ich behaupten. Auf dem Kopf gähnen Leere. Normalerweise ein No-Go. Bei dem hübschen Unbekannten mit dem stämmigen Körperbau unheimlich attraktiv. In seinen Augen spiegelte sich ein ähnliche Anforderungsliste. Dann tippte ihn jemand an und er drehte seinen Kopf zur Seite. So konnte ich ihn weiter abchecken. Vom Kleidungsstiel her hätte man meinen können, dass er die Security des Ladens ist. Ich hoffe nicht. Sonst war mein Flirt gleich Geschichte.
„Möchtest du noch eins?“, verlangte der Barkeeper nach Aufmerksamkeit. Er drehte meine Flasche zwischen seinen Fingern. Das hätte man jetzt auch falsch verstehen können. Ich nickte und bekam eine volle Bierflasche. Vielleicht sollte ich mich an ihn ranmachen? Der war schließlich nicht übel mit den wasserstoffblonden Haaren und den dunklen Augen. Er schaute mich eindringlich an. Was genau wollte er von mir? War der sexy Kerl etwa seiner? Nein, das konnte ich mir nur sehr schwer vor-stellen. „Bist du auch Türsteher?“, fragte er schließlich. „Ich bevorzuge Security. Aber ja.“, antwortete ich, „Woher weist du das?“ „Nu so eine Ahnung. Tu mir bitte den Gefallen und reiz unsere Security nicht.“ Ich nickte mit einem höflichen Lä-cheln auf den Lippen. Deswegen hatte der Hübsche mich gescannt. Hätte er ebenso wie ich eine Kutte an, wäre das Missverständnis nicht entstanden. An der Reak-tion des Barkeepers war leicht abzulesen, wer seine unsympathische Schutztruppe darstellte. Meines absoluten Lieblingsfreunde der verrückten Enten. Die waren nicht nur in den USA unsere absoluten Todfeinde. Offiziell herrschte seid einigen Jahren Frieden zwischen den Familien.
Es durfte sich zwar angezickt werden, aber körperliche Gewalt war tabu. Das war albern, aber es half. Was hinter verschlossenen Türen passiert, ist schließlich was anderes. Was Mutti nicht weiß, macht sie nicht heiß.
Der sexy Glatzkopf und sein Kollege machten sich auf den Weg zur Tür. Schade eigentlich. Er wäre heute der Hauptgewinn. Vielleicht einander Mal und zu einer anderen Zeit. Schließlich galten die Crazy Ducks nicht gerade als offen für Neues. Ganz im Gegensatz zu meiner Familie. Unser Präsi in den USA war seit zehn Jahren mit seinem Ehemann verheiratet. Die meisten von uns fühlten sich dem gleichen Geschlecht hingezogen. Wir waren praktisch eine Nischenerscheinung in der Rockerszene.
Plötzlich tauchten Mick und Noah neben mir auf. „Du wirst dich noch erkälten.“ Ich deutete auf Noahs verschwitztes Shirt. „Ne, wir waren eben draußen. Es ist noch oder wieder angenehm warm.“ Ich stutzte und linste auf mein Smartphone. Es zeigte 5:30 an. Verdammt. Wie lange musste alleine das Blickduell gedauert haben?
„Wollen wir nach Hause?“, fragte ich wegen der Uhrzeit. „Wo hast du deinen Fang gelassen?“ „Hab keinen. Los jetzt.“ Ich schob Noah zum Ausgang. Hinter uns lief Mick mit einem wissenden Grinsen. „Wenn wir uns beeilen, erwischen wir noch die Tram.“ Ich hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da begann Noah schon zu laufen. „Hey! Wir müssen zum Sendlinger Tor, wenn du Tram fahren willst!“ Sofort blieb er stehen. „Und wo ist das?“ Lachend nahm Mick ihn an die Hand. Ich lief im Schnellschritt voraus.
Als wir an der Haltestelle eintrafen, stand die Tram schon da. Schnell hechtete ich in die Tür und blockierte ihre Automatik. Zugegeben, nicht die feine Art und der Fahrer wünschte mich garantiert eben zum Teufel. So früh schon einen Störer. Das war mir jedoch herzlich egal. Die beiden Bremer hüpften in den fahrbaren Untersatz und die Bahn konnte losfahren.

Zwanzig Minuten später erreichten wir meine Wohnung. Mick und Noah verschwanden im Wohnzimmer. Mit der ausziehbaren Couch waren die beiden bereits Freunde fürs Leben.
Mein Bett dagegen zeigte mir die kalte Schulter. Im wahrsten Sinne des Wortes. Draußen hatte es etwa 18 Grad. Trotzdem fühlte es sich hier drinnen eiskalt an. Meine Gedanken irrten umher und ließen mich nicht einschlafen. Aus dem wirren Gedanken- und Erinnerungsgut tauchten vor mir riesige goldenen Augen auf. Sie wirkten wie die Augen einer Bestie. Furchtlos trat ich näher. Je weiter ich zu ihnen kam desto kleiner wurden sie. Ich kämpfte mich durch den Nebel. Bis er unerwartet vor mir stand. Die Glatze aus dem Tanzlokal. Er lächelte und bot mir seine Hand an. Skeptisch betrachtete ich ihn. War das noch meine Fantasie oder Wirklichkeit? Zögernd nahm ich seine Hand. Der Nebel legte sich und zeigte das Lokal Lederhosen. Niemand war hier. Nur wir beide. Wenn das wirklich passierte, fresse ich einen Besen. Ohne Hilfsmittel!
Glatzi schob mich näher an sich. Die mehrstündige Studie zeigte seine Wirkung. Sein Körperbau war dem meine sehr ähnlich. Viellicht ein wenig kräftiger als ich. Was ich aber spürte gefiel mit ausgesprochen gut. Seine stämmige Brust und die muskulösen Arme. Alles was ich wollte. Er legte seine Hände auf meine Schulter. Nur um sie dann über meine Brust gleiten zu lassen. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Verdammt. War ich wirklich so untervögelt? Mein Penis hatte eine simple und eindeutige Antwort darauf. Ich schloss meine Augen um mich zu sammeln. Wenn es am schönsten ist, soll man aufwachen. Sagt man. Muss man aber nicht. Im Traum öffnete ich erneut meine Augen. Irritiert betrachtete ich die neue Umgebung. Das hier war meine Wohnung. Der schmale Gang vor meiner Wohnungstür, der zu den. vier anderen Zimmern führte. Eine Berührung am Rücken ließ mich zusammenfahren. „Hey, Jo. Wo hast du deinen Kopf?“, flüsterte jemand sanft. Vorsich-tig jedoch bestimmt wurde ich umgedreht. Glatzi stand vor mir. Sehnsüchtig und gleichzeitig liebevoll schaute er in meine Augen. Seine Finger streichelten meine Wange. Er kam näher. Seine Lippen legten sich auf meine.

Ich riss meine Augen auf und setzte mich entsetzt auf. Niemals würde ich wieder jemand so nah an mich heranlassen. Frustriert kratzte ich mich am Kopf. Das hatte ich bei meinem letzten Freund gesagt. Bei Glatzi sollte ich tatsächlich vorsichtig sein. Wenn er wirklich zu den Crazy Ducks gehörte, war es fast unmöglich, dass er auch nur einen Hauch schwul war oder es jemals zugeben würde.

Der Wecker zeigte neuen Uhr an. Immerhin. Ein wenig Schlaf war besser als keiner. Ich schlich ins Wohnzimmer. Meine Gäste schliefen noch selig aneinander gekuschelt. Da ließ die stille Eifersucht nicht lange auf sich warten. Es frustrierte einfach. Andererseits gönnte ich es ihnen von ganzem Herzen. Ich rang mir ein Lächeln ab. Am liebsten hätte ich mich dazu gelegt. Frühstück. Ich riss meinen Blick los und ging zur Kücheninsel. Die hatte ich mir vor einigen Jahren eingebildet und kurzer Hand eine Wohnküche aus dem ehemaligen Wohnzimmer gemacht. Die Küchenzeile war jetzt die Speisekammer. Fix hatte ich die Aufback-Croissants hervor und packte sie in den Backofen. Schnell noch den Timer eingestellt. Das geile an meiner Kücheninsel ist die Timer-Funktion. Alle Küchengeräte sind an dieses Steuergerät gekoppelt. Die Auswahl zwischen den Programmen hatte mich echt verwöhnt. Mein Morgenprogramm aktivierte die Kaffeemaschine, Backofen und Mikrowelle. Ich musste nur für den Inhalt sorgen. Meistens scheiterte es daran. Nur nicht heute. In der Mikrowelle warteten sechs Eier auf ihren Einsatz.
Mick und Noah konnten noch zwei Stunden schlafen bis sie der Kaffeeröster weck-te. Ich angelte mir eins meiner Bücher aus dem Regal und mümmelte mich im Bett ein.

Jemand rüttelte halbherzig an meiner Schulter. „Hey. Jo. Wach auf. Frühstück ist fertig.“ Mürrisch schlug ich die Augen auf. „Dann fangt ohne mich an.“ Ich drehte mich zur Seite und zog die Decke fest um mich. Mick hatte meine schlechte Laune nicht verursacht noch verdient. Das passierte aber, wenn man mich weckte. „Ich sag das jetzt nicht gerne. Es ist trotzdem wichtig.“, murmelte Mick geheimnisvoll. Neugierig sah ich über meine Schulter. Mein Gast machte einen belustigten Gesichtsausdruck. Er deutete auf mein Bett. „Du liegst auf deinem Buch.“ Mit diesen Worten ging er. Mein Gehirn brauchte unfassbar lange um diese Information zu verarbeiten. Im hohen Bogen sprang ich aus den weichen Federn. Tatsächlich lag das Buch etwas verbogen unter meinem Kopfkissen. Ich versuchte es wieder ein wenig glatt zu streichen. Ich musste es wohl oder übel mit anderen Büchern in seiner Form pressen.
Genervt kam ich ins Wohnzimmer. Noah köpfte gerade ein Ei und löffelte es genüsslich aus. „Guten Morgen, Jo.“, murmelte er mit vollem Mund. „Morgen.“, grummelte ich. Aus dem Backofen fischte ich die letzten Croissants. Zwei Eier und ein Kaffee waren noch übrig. Muffig setzte ich mich an den Tisch. „Schlecht geschlafen?“ Nicken musste Noah genug Antwort sein Mir war nicht nach Reden.

Am Abend räumte Noah bereits ihre Sachen zusammen. „Ihr startet morgen früh?“ „Oh. Es spricht.“ „Noah!“, knurrte Mick bevor er sich an mich wandte, „Ja. Wir müssen ans andere Ende von Deutschland. Da müssen wir so früh wie möglich los.“ Der Blonde kuschelte sich an seinen Freund. „Du hast morgen wieder Spätschicht, oder? Wir werden leise sein und dich nicht wecken. Versprochen!“ Ich winkte ab. „Kein Problem. Ich kann auch nachmittags schlafen. Ich habe erst ab 20 Uhr Dienst.“

Letzten Endes habe mich die beiden nicht geweckt. Meine Freunde hatten mir noch einen Fresskorb dagelassen. Nett. Dann musste ich schon mal nicht einkaufen. Wenigstens hatte ich heute Nacht durchgeschlafen. Ohne goldene Augen oder Glatzen. Und da war es wieder. Mein Traumbild. Wie er in der Tür stand mit diesem süßen Lächeln. Schnell schüttelte ich den Kopf. Weg mit diesem Trugbild.
Den ganzen Tag über wiederholte sich das Spiel. Langsam zweifelte ich an meinem Verstand! Ich war unendlich froh als mich mein Smartphone daran erinnerte loszulaufen.
Am Hauptbahnhof war trotz der Uhrzeit reges Treiben. Unter der Woche war der Job relativ lässig. Heute Nacht half ich bei der U-Bahn-Wache aus, weil die mal wieder unterbesetzt waren. Natürlich ein wenig Inkognito. Wir passten sozusagen ein wenig auf sie auf. Aber das würden die Angeber in Uniform nie zugeben. Vielleicht machte ich das auch nicht mehr lange. Es gibt da eine interne Stelle auf die ich scharf bin. Ich hatte sogar alle Prüfung und Lehrgänge absolviert. Eigentlich perfekt. Nur ging das Gerücht rum, dass sie die Stelle gar nicht intern besetzen wollten. Na mal sehen. Vielleicht bin ich sogar besser als der externe Bewerber. Falls es den wirklich gab.
David erwartete mich bei den Rolltreppen zur S-Bahn. Heute spielten die Roten. Das hieß für uns die Fans bei den Fernzügen abfangen und möglichst getrennt in die U6 pferchen. Wenigstens waren sie farblich leicht zu unterscheiden. Die Roten aus München und die Gelben aus dem Pott.
„Na. Alles gut?“, grüßte mich David. „Denke schon und bei dir?“ Wir klatschten uns kurz ab. „Alles in Butter – solange der BVB gewinnt.“ Ich lachte auf. „Wieso bist du nochmal nach Bayern gezogen, du Pott-Nase?“ „Nur für meine Ramona.“
Kurze Zeit später trafen wir die Kollegen der U-Bahn-Wache. Wir gingen noch den Einsatzplan durch und dann ab ins Getümmel.

Der Einsatz lief glimpflich ab. Nur ein Haufen Betrunkener, die diskutieren wollten. Ab den DB-Gleisen mussten sie das sowieso mit der Bundespolizei klären. Nachdem die Fußballfans von dannen gezogen waren, wurde es ruhiger.
Erst gegen Mitternacht überrannten uns beinahe ein paar Gruselgeschockten von Richtung Kino.
„Ich mag die Spätschicht.“, sagte David plötzlich. „Hm. Ich bevorzuge das Wochen-ende. Hier ist es mir zu langweilig.“ David lachte nur. „Morgen Nacht sind wir so-wieso wieder im Nachtleben. Also genieß die Ruhe.“ Das hätte ich echt gerne ge-macht. Aber Glatzi verfolgte mich. Langsam drehte ich echt durch. Wie konnte mir ein Kerl, dessen Namen ich nicht kannte, so den Kopf verdrehen?
„Was los, Kleiner? Stalkt dich dein Ex wieder?“, erkundigte sich mein Kollege erst. „Nein. Er lässt mich in Ruhe. Vielleicht hat er schon ein neues Opfer.“ Ich atmete tief durch und erzählte ihm von meinem freien Tag.
„Das hört sich interessant an.“ Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Wir sind morgen auch in der Gegend eingesetzt. Möglich, dass er uns über den Weg läuft.“ „So viel Glück werde ich kaum haben.“ „Ach komm schon. Nicht immer so pessimis-tisch!“ David schlug mir auf die Schulter. „Wenn ich mich so anstellen würde wie du, hätte ich Ramona nie von meiner Wenigkeit überzeugt!“ Jetzt musste ich lachen. „Mädchen zu überzeugen ist einfacher als…“ „So ein Bullshit! Weist du wie schwer es ist eine tolle Frau zu überzeugen? Das ist mindestens so schwer, wie einen Kerl rumzukriegen.“ Ich verzichtete auf eine Antwort sonst würde sich dieses Gespräch bis drei Uhr morgen – als Schichtende – ziehen.
„Wie geht es Ramona?“ „Du lenkst ab.“, wandte David ein, „Es geht ihr gut. Sie schimpft eben, wenn ich Nachtschicht schiebe. Wenn ich dann sage, dass du auf mich aufpasst, ist wieder alles in Ordnung.“ „Als wenn das nötig wäre.“ David nickte belustigt. „Ja. Verstehe einer die Frauen. Eindruck hast du trotzdem bei ihr hinterlassen.“ Schulterzuckend ging ich um die Kurve. David langsam hinterher. Er hielt sein Smartphone in der Hand.
Bis zum Ende der Schicht schnitt mein lieber Herr Kollege tatsächlich nochmal das Thema Beziehungen an. Er schwärmt mir die Ohren von Ramona voll und erzählte zum tausendsten Mal ihr Geschichte. Zu guter Letzt noch einige „wertvolle“ Bezie-hungstipps. Mein Hörorgan dankte es mir unendlich als ich alleine in meiner Woh-nung war. Auf meinem Display erschien eine Nachricht von Mick. Sie waren vor ein paar Stunden gut Zuhause angekommen.

Ich warf mich in mein Bett. Einfach schlafen. Morgen oder besser heute Abend bei der Eröffnung würde es anstrengend genug werden. „Hey Hübscher.“, flüsterte es neben meinem Ohr. Erschrocken drehte ich mich zu Seite. Verdammt! Ich hatte doch eben nicht an ihn gedacht! Wieso spielte mir mein Gehirn so miese Streiche?
Meinen verwirrten Gesichtsausdruck ignoriert er. Sanft strich er über meine Wange. Mir lief ein angenehmer Schauer über den Rücken. Seine Finger wanderten in meinen Nacken. Er zog meinen Kopf zu sich und küsste mich. Nur ein Hauch. Es fühlte sich so verdammt echt an. Ich traute mich kaum die Augen zu öffnen, die ich unwillkürlich geschlossen hatte. Doch das musste ich. Entweder um den Traum zu beenden oder um ihn wieder zu sehen. Beides kam mir schwachsinnig vor. Ich musste dringend etwas unternehmen. Entschlossen öffnete ich die Augen. Mein Schlafzimmer. Dunkel. Ich. Allein im Bett. Frustriert schlug ich auf die Matratze. Ich brauchte dringend Schlaf um fit zu sein statt diese absurden Träume. In diesem Zu-stand würde das kaum etwas werden. Einmal um den Block laufen. Das hatte des Öfteren Wunder vollbracht. Pulli, Trainingshose und Laufschuhe. Dann gings los. Im Treppenhaus begegnete ich dem Frühschichtnachbarn. So richtig schnuckelig mit seinem verpennten Gesichtsausdruck. Leider glücklich an seine Freundin ver-geben. Er lief Richtung Tram, ich in die andere Richtung.